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Der Stachel des Sokrates

Für den Philosophen Sokrates war das Bewusstwerden über die menschlichen Schranken des Wissenkönnens eine Voraussetzung zur Erkenntnis. Mit diesem scheinbaren Widerspruch verunsicherte er seine Mitbürger mit ernsten Konsequenzen für sich selbst.

Sokrates gilt als der Begründer der Philosophie, die den Menschen zum Mittelpunkt des Denkens macht. Hatten die Philosophen vor ihm, die Vorsokratiker, sich mit der äußeren Natur, den kosmischen und göttlichen Dingen beschäftigt, so stellte sich Sokrates die Frage, was denn der Mensch über sich selbst wissen könne, was gut und schlecht für ihn sei und was die Grenzen seines Wissens seien. Über die Persönlichkeit und die Lehren des 469 v. Chr. in Athen geborenen Sokrates lässt sich wenig Sicheres sagen, denn das meiste was über ihn bekannt ist, stammt aus teilweise widersprüchlichen Angaben seiner Schüler. Seine Lehre wird recht zutreffend mit diesem ihm zugeschriebenen Kredo auf den Punkt gebracht: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Mit dieser Einstellung verunsicherte er nicht nur seine Mitmenschen, sie spielte auch eine große Rolle bei dem Prozess, der für ihn das Todesurteil bedeutete.

„Ich weiß, dass ich nichts weiß“

Sokrates  war ein unbequemer Philosoph. Wer es wagte, an ihn eine Frage zu richten, so konnte er nicht einfach eine Antwort von ihm erwarten, sondern musste damit rechnen, mit noch mehr Fragen von dannen zu ziehen. Wenn er aber wiederkehrte und das weitere Gespräch suchte, dann konnte er hoffen, der Wahrheit näher zu kommen. Der Grund ist in dem besagten berühmten Kredo zu finden. Eingebettet ist es in Sokrates´ Art der Gesprächsführung, die Mäeutik genannt wird. Die Mäeutik, das altgriechische Wort für Hebammenkunst, ist Sokrates´ Vorgehen, den Wissensdurstigen zur Erkenntnis im Dialog anzuleiten, also ihm bei der „Entbindung“ des Wissens zu helfen. Dabei ging er gemäß seinem Wahlspruch vor, so dass sein Zuhörer nun wusste, wie wenig er doch eigentlich wisse. Das Ergebnis war die Aporie, also übersetzt die Ratlosigkeit. Durch ihre Herbeiführung soll der Ratsuchende von falschen Einbildungen befreit werden, indem diese durch geschicktes Hinterfragen Stück für Stück widerlegt werden. Alsdann ist der Weg geebnet, um mit weiteren Fragen doch noch zur richtigen Meinungsbildung zu gelangen. Diejenigen, die sich auf Sokrates einließen, wussten die „Sokratischen Dialoge“ zu schätzen. Ein glühender Anhänger seiner Lehre wurde Platon (427-347 v. Chr.), dessen besser überlieferte Lehren sich um einiges bedeutsamer als die seines Lehrmeisters erweisen sollten.

Sokrates wusste aufzurütteln

Gerade durch die beim Gesprächspartner bezweckte Ratlosigkeit musste Sokrates anecken. Sein Stachel saß tief, wenn er wiederholt vermeintlich weise Herrscher, Dichter oder andere Leute von Namen und Rang vorführte und in ihrem Selbstbewusstsein erschütterte. Schließlich musste er sich eingestehen, dass das Orakel von Delphi Recht hatte, wenn es sinngemäß sagte: „Keiner ist so weise wie Sokrates“. Freilich war er wegen seines Bewusstseins über die menschlichen und somit seine eigenen Wissensgrenzen den anderen voraus und Selbsterkenntnis war der Schlüssel hierzu. „Erkenne dich selbst“ – diesen auf einer Säule des Orakeltempels eingravierten Spruch gab Sokrates eine neue Deutung. Selbsterkenntnis hatte bei den Vorsokratikern zunächst zur Eindämmung der Anmaßung gegenüber den Göttern gedient, woraus später eine überaus optimistische Suche nach der in der Seele wohnende Klugheit geworden war. Beides verwarf nun Sokrates.

Das passte aber so gar nicht zu dem Selbstverständnis seiner Zeitgenossen, die von der unumstößlichen Weisheit als einem erreichbaren Ideal ausgingen. Sein Schüler Platon fand den Vergleich von Sokrates mit dem „Zitterrochen“ ganz zutreffend, da auch Sokrates seinem Gegenüber gewissermaßen elektrische Schläge versetzen konnte. Platon nennt ihn auch „Atopos“, was wohlwollend mit „ungewöhnlich“ und weniger wohlwollend mit „deplaziert“ übersetzt werden kann. Auch Sokrates´ Äußeres war nicht allzu vorteilhaft, um sich der Gesellschaft einzuschmeicheln. Antike Skulpturen zeigen ihn als einen eher kleinen, dicken, vollbärtigen Mann mit dumpfem Blick, der den Eindruck erweckte, geistig träge zu sein. Ein solches Erscheinen alleine reicht freilich für eine Außenseiterrolle nicht aus. Zu dieser trug er tatkräftig bei, indem er sich wie viele andere große Denker nachlässig im Umgang mit seinem Äußeren, wie etwa bei seinem Kleidungsstil zeigte. Für solch einen eigenartigen „Typ“ ist es fast ein Wunder, dass er eine Frau fand.

Und wurde durch Xanthippe durchgerüttelt

Womöglich deshalb bekam Sokrates die Frau, die er verdient hatte. Xanthippe war ihr Name und sie beschenkte ihn mit drei Söhnen und noch viel mehr Sorgen. Sie soll nörglerisch, streitsüchtig, unnachgiebig und rundum bösartig gewesen sein. Einmal, so will es die Überlieferung, schüttete Xanthippe den Nachttop in einem Tobsuchtsanfall über dem vorm Haus weilenden Sokrates aus, der daraufhin hervorrief: „Seht ihr, wenn meine Frau donnert, spendet sie auch Regen!“ Doch auch etwas profunder wusste Sokrates seine Ehe zu verteidigen. Die Wahl sei auf seine Frau gefallen, da die Erduldung ihrer Wesensart der Geduld eines Reiters gleiche, der ein wildes Pferd zähme. Und so wie dieser Reiter alle Pferde zähmen könne, wenn er sich am wildesten erfolgreich erprobt habe, so helfe ihm selbst sein Umgang mit Xanthippe mit allen Menschen umgehen zu können. Riss dem Sokrates mit seiner Frau einmal wieder der Geduldsfaden, und das kam oft vor, dann „beglückte“ er seine Athener Mitbürger in den Gassen und auf den Plätzen mit seinen Dialogen aber auch grüblerischen Zwiegesprächen mit sich selbst. Letztere zogen sich auch mal über den ganzen Tag und die ganze Nacht hin und trugen mit zu seinem Ruf eines Sonderlings bei.

Der Preis der Unbeugsamkeit

Die „zudringliche Bremse“ Sokrates, „welche dem schönen Pferde Athen von einem Gotte auf den Nacken gesetzt sei, um es nicht zur Ruhe kommen zu lassen“ (Friedrich Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches) wurde den Athenern irgendwann lästig. Dem inzwischen Siebzigjährigen wurde schließlich ein Prozess gemacht und ihm zur Last gelegt, er verderbe die Jugend und erkenne die griechischen Götter nicht an und setze andere an ihre Stelle. In seiner Verteidigungsrede vor über 500 aus dem Volk gelosten Geschworenen widerlegte er zwar unter Erläuterung seiner Philosophie erfolgreich die gröbsten Verleumdungen, trat aber anmaßend auf und bot so den Anklägern eine Steilvorlage. Mit einer Mehrheit von 61 Stimmen wurde er für Schuldig befunden, und da fortan Sokrates auch noch das Gericht eines falschen Urteils bezichtigte, sah man auch nicht davon ab, das Urteil abzumildern – obwohl man sich ein falsches Urteil insgeheim eingestand. So fand Sokrates 399 v. Chr. durch den Schierlingsbecher den Tod.

Autor: Dipl.-Bw. (FH) Michael Zabawa
Erschienen: Oktober 2011

Weiterführende Literatur


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