Einmal
Fest im Sattel machten sich die Nationalsozialisten daran, mit
fremdenfeindlichen Gesetzen ihrem „Völkischen
Menschen“ eine Vorrangsstellung im Rechtssystem zu
verschaffen.
Einen Sonderfall in der Entwicklung der deutschen Rechtsgeschichte
stellt die nationalsozialistische Periode dar. Grund hierfür
ist die faktische Aufhebung der Gewaltenteilung zwischen Legislative
und Jurisdiktion und die zentrale Rolle des Menschenbildes der
Legislative. Üblicherweise schwebt dem Gesetzgeber ein
Gerechtigkeitsideal vor, aus welchem ein Menschenbild (ex post)
destilliert werden kann. Ein Paradebeispiel ist der Homo oeconomicus,
der mit den liberalen Gerechtigkeitsvorstellungen des
Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) vereinbar ist (Boehmer, S. 83).
Beim Dritten
Reich verhielt es sich genau umgekehrt. An erster Stelle stand das
explizit formulierte nationalsozialistische Menschenbild, der
„Völkische Mensch“, an welches die
Rechtsetzung sowie Rechtssprechung ihre Gerechtigkeitsvorstellungen
koppeln sollten.
Völkischer Mensch: Ein reinrassiger
deutscher Tugendbold
Der Völkische Mensch kann durch seine rassischen Merkmale und
seine Geisteshaltung gekennzeichnet werden. Im Idealfalle handelte es
sich bei ihm um einen reinrassigen Arier deutscher Abstammung, und traf
dies nicht zu, so sollte dieser wenigstens überwiegend
„deutschblütig“ und arisch, jedenfalls
keineswegs der jüdischen „Rasse“
angehörig sein, womit spätestens die
Zugehörigkeit zur deutsch-völkischen Gemeinschaft
ausgeschlossen wurde. Im Hinblick auf die Geisteshaltung hielt der
völkische Mensch die sog. deutschen Tugenden hoch, die nebst
der „Rassenhygiene“ sozialistische und
unterwürfige Züge zum Inhalt hatten:
Pflichterfüllung im Dienste der Volksgemeinschaft,
bedingungslose Befolgung der Politik des Führers, der den
Volkswillen verkörpert, usw.[Vgl. Programm der NSDAP von 1920;
Online-Quelle, URL:
http://www.dhm.de/lemo/html/dokumente/nsdap25/index.html; Zugriff am
12.07.2009] Das Rechtsystem sollte nun die mit entsprechenden Merkmalen
ausgestatteten Volksgenossen bevorzugen und ansonsten die
Rechtsbeziehungen zwischen diesen gerecht regeln.
Kreative Rechtsfindung im Dienste der Diktatur
Auf der Hand liegt, dass ein solches Menschenbild und das daran
geknüpfte Rechtsverständnis zumindest im Hinblick auf
die Benachteiligung der Fremdblütigen nicht gerecht sein
können. Am deutlichsten verdeutlicht sich dies in dem
für den Nationalsozialismus typischen Antisemitismus. Soweit
die bereits bestehende Rechtsordnung nach der
„Machtergreifung“ 1933 zunächst formal
übernommen wurde und die Machthaber ihre gesetzgeberischen
Bestrebungen vorerst auf die Festigung ihrer Macht konzentrierten,
lassen sich für die Anfangszeit der Dritten Reichs keine
antijüdischen Gesetze vorfinden. Im vorauseilenden Gehorsam
fühlte sich jedoch die Rechtsprechung zu einem
antijüdischen Kurs berufen. Mangels entsprechender Gesetze und
aufgrund des mit klassischen Gerechtigkeitsidealen unvereinbaren
Menschenbildes bedurfte es besonderen Einfallsreichtums. Beispielhaft
mag hierfür die Anwendung des Eherechts stehen, bei der die
Möglichkeit der Anfechtung der Eheschließung
aufgrund der Rasse des Ehepartners eingeführt wurde. Dabei
erwies sich der Erste Senat des Oberlandesgerichts Celle in der
Entscheidung vom 5. November 1934 - 1 U 362/34 (veröffentlicht
in der Juristischen Wochenschrift 1935, S. 1445) als besonders
rechtsschöpferisch. In der Begründung wurde eine
Umdeutung des Begriffes des Irrtums über die Person oder die
persönlichen Eigenschaften des Ehepartners zum Zeitpunkt der
Eheschließung vorgenommen, die eine Aufhebung der Ehe nach
§ 1333 BGB (in der damals maßgeblichen Fassung)
ermöglichte. Die bislang der Jurisprudenz unbekannte
Rassezugehörigkeit fiel nun unter die Generalklausel der
persönlichen Eigenschaft, wodurch eine vereinfachte Scheidung
von Ehen mit jüdischen Ehepartnern im Rahmen bestehender
Gesetze ermöglicht wurde.
Die Maske fällt: Antijüdische
Rechtsprechung und Gesetze
Bei näherer Beleuchtung war diese Rechtsprechung nicht nur
nach herkömmlichem Verständnis ungerecht sondern auch
contra legem. Sie widersprach dem Gleichbehandlungsgebot des Artikel
109 der formal noch gültigen Weimarer Reichsverfassung
– zumindest wenn man, wie beim Grundgesetz üblich,
den Verfassungsartikeln die Drittwirkung auf andere Gesetze zugesteht.
Dennoch war die Rechtspraxis noch nicht in allererster Linie gegen
Juden gerichtet, da primärer Zweck die Scheidung von Mischehen
war, um dem „deutschblütigen“ Ehepartner
eine Karriere im Dritten Reich zu erleichtern. Hingegen trat die
Judenfeindlichkeit im folgenden Falle unverfrorener hervor: Einem
jüdischen Bewohner konnte die Wohnung gekündigt
werden, da dessen Zugehörigkeit zu der jüdischen
Rasse geeignet war, eine Belästigung der Hausgemeinschaft nach
§ 2 Mieterschutzgesetz (in der gültigen Fassung von
1923) darzustellen. Davon zeugen Entscheidungen mehrerer Amtsgerichte
im Jahr 1938, vgl. Rüthers (2005), S. 167 f. Die Gesetzgebung
bestätigte schließlich die sich zunächst
auf Generalklauseln der bisherigen Gesetze stützende
antisemitische Rechtsprechung. Zu nennen sind die
„Nürnberger Rassengesetze“ von 1935, das
„Gesetz über Mietverhältnisse mit
Juden“ von 1939 oder die „Verordnung zur
Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“
von 1938.[Zur nationalsozialistischen Gesetzgebung siehe Buschmann
(2000).]
Unangetastetes liberales BGB und sozialistische
Gesetze
Es handelt sich dabei um Spezialgesetze und keine Änderung der
bestehenden Standardkodifikationen. Daher blieb zum Beispiel das BGB im
Wesentlichen unangetastet und regelte die Rechtsbeziehungen
für die einbezogenen Rechtsgenossen weiterhin gerecht nach
liberalen Grundsätzen. Fremdblütige wurden freilich
durch die Spezialgesetze von den im Privatrecht gewährten
Rechten und Freiheiten ausgeschlossen. Eines von der Rechtswissenschaft
eingeschlagenen, von der Praxis allerdings eher selten befolgten Weges,
über die ans Deutschsein gekoppelte Interpretation der
BGB-Person, an welche die privaten Rechte geknüpft werden,
Fremdblütige auszuschließen, bedurfte es unterm
Strich nicht (vgl. Schröder (2002), S.114). Auf der anderen
Seite wurden auch einige soziale Reformen insbesondere im Arbeits- und
Mietrecht auf den Weg gebracht, die der nationalsozialistischen
Ideologie im Hinblick auf deren sozialistisches Element dienlich waren,
ohne rassistisch zu sein; vgl. Schröder (2002), S. 116.
Volksgesetzbuch als letzter Schritt
Aufgrund der Tatsache, dass die Mühlen der Justiz für
den Großteil der Bevölkerung weiterhin nach den
übernommenen gerechten Gesetzen mahlten, kann nicht einseitig
von einem pauschal ungerechten Rechtsystem im Dritten Reich gesprochen
werden. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass
das Menschenbild mit seinen diskriminierenden Zügen und der
Ausschluss missliebiger Bevölkerungsgruppen vom Rechtsverkehr
ungerecht waren. Mit dem nationalsozialistisch geprägten
„Volksgesetzbuch“, welches das BGB ablösen
sollte, wäre zweifelsohne der Völkische Mensch
ausdrücklich zum einzig mündigen Rechtsgenossen
erklärt worden. Allerdings gelang es wegen des Niedergangs des
Dritten Reichs nicht über ab 1942 erstellte
Teilentwürfe hinaus.
Verfasser: Dipl.-BW (FH) Michael Zabawa
Erschienen: September 2011
Literatur:
Boehmer, Gustav, Einführung in das
bürgerliche Recht, Band 2, Mohr Siebeck, Tübingen 1965
Buschmann, Arno, Nationalsozialistische
Weltanschauung und Gesetzgebung
1933-1945, 2 Bde., Springer, Wien 2000
Rüthers, Bernd, Die
unbegrenzte Auslegung: Zum Wandel der Privatrechtsordnung im
Nationalsozialismus
(6. Aufl.), Mohr Siebeck, Tübingen 2005
Schröder, Rainer, Das BGB im
Dritten Reich, in: Diederichsen, Uwe; Sellert, Wolfgang
(Hrsg.), Das BGB im Wandel der Epochen, 10. Symposion der Kommission
„Die Funktion des Gesetzes in Geschichte und
Gegenwart“, Vandenhoeck & Ruprecht,
Göttingen 2002, S. 109 - 126
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